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Wohnen Stadtentwicklung

Wohnsiedlungen der Nachkriegsmoderne – Triste Hochhäuser oder bautechnische Revolution?

Ein Wissenschaftsteam der Frankfurt University of Applied Sciences hat einen Architekturführer erstellt, der sich mit Siedlungen der Nachkriegszeit befasst, die heute überwiegend mit trister Anonymität verbunden werden. Er soll ein neues Bewusstsein für die Siedlungen schaffen und Lehren für den Bau zukünftiger Siedlungen ermöglichen. In dem Buch werden auch mehrere Quartiere der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt vorgestellt.

Dunkles Grau. Trübe Landschaft. Betonblock an Betonblock. In der Vorstellung vieler sind das die Assoziationen, wenn man an Wohnsiedlungen wie die Wohnstadt Limes in Schwalbach, den Schelmengraben in Wiesbaden oder die Nordweststadt in Frankfurt am Main denkt. Um diesen Vorverurteilungen entgegenzuwirken, hat das Wissenschaftsteam „Ressource Nachkriegsmoderne – Baukultur und Siedlungsbau 1945-1975“ der Frankfurt UAS einen Architekturführer entwickelt, der zehn Siedlungen und deren Entstehung näher untersucht.

Die Herausgeber der Führers, Prof. Dr. Maren Harnack, Matthias Brunner und Natalie Heger, verfolgen mit dem Band zwei Ziele: „Zum einen soll ein Bewusstsein für die baukulturelle Bedeutung der Nachkriegsmoderne geschaffen werden“, erklärt Prof. Dr. Maren Harnack, Professorin für Städtebau und Entwerfen an der Frankfurt UAS. So hat allein Frankfurt durch den Bau der damals neuen Siedlungen, als Reaktion auf die Wohnungsnot nach dem Kriegsende, schon im Jahr 1951 wieder die Vorkriegsgröße der Einwohner erreicht. „Abertausende Menschen hatten wieder einen sicheren, behüteten Wohnraum, der vor allem eins war: bezahlbar“, so Harnack weiter. Das habe nicht nur die Industrialisierung vorangetrieben, besonders habe es den Menschen Sicherheit und Wohlstand ermöglicht und so die Grundlage für unser heutiges Leben geschaffen.

Die NHW hat einen großen Anteil daran. „Als gemeinnütziges Unternehmen war die damalige Nassauische Heimstätte aktiv an der Planung, dem Bau und der Vermarktung solcher Siedlungen beteiligt“, erklärt Harnack. So war sie unter anderem verantwortlich für den Bau der Siedlung Hirschsprung in Dreieich und partizipierte bei der Planung der Frankfurter Nordweststadt oder der Wohnstadt Limes in Schwalbach am Taunus. Viele Häuser in diesen Quartieren gehören noch heute der NHW.

Liebe auf den zweiten Blick

Entgegen der Erwartung vieler Außenstehender weisen die Autor*innen darauf hin, dass die meisten Anwohner der Siedlungen dort gerne zu Hause sind. „Beim genaueren Hinsehen ist das dunkle Grau von nicht wenig hellem Grün umgeben, die Natur ist nah“, fügt Harnack hinzu. Gleichzeitig werden die Siedlungen von damals stets weiterentwickelt und an die heutigen Bedürfnisse ihrer Bewohner angepasst. Und nicht zuletzt gibt es bei der Vielzahl an unterschiedlichen Bewohnerinnen und Bewohnern ein Element, das sie alle vereint: der Wunsch nach bezahlbarem Wohnraum in Stadtnähe.

Neben dem Bewusstseinswandel möchten die Autoren noch ein zweites erreichen: einen unvoreingenommen Blick in die Zukunft wagen. „Aktuell wird neuer Wohnraum dringend benötigt. Der Blick auf den Siedlungsbau der vergangenen Epoche ermöglicht es zu untersuchen, was sich in der Vergangenheit bewährt hat und was nicht“ erklärt Harnack.
„Vieles war nicht so schlecht und könnte heute in veränderter Form wieder aufgegriffen werden. Die Siedlungen haben heute eine starke, eigene Identität, die zu unserem Baukulturerbe gehört“, so Harnack weiter.

Eine Ausstellung mit Bildern des Architekturführers konnte im Forum des Deutschen Werkbunds Hessen besucht werden. Der Architekturführer „Wohnen in der Nachkriegsmoderne. Siedlungen in der Region Rhein-Main“ ist im Deutschen Kunstverlag erschienen. Er ist auch im freien Handel für neun Euro zu erhalten. Mehr Infos dazu gibt es unter www.deutscher-werkbund.de/hessen/ und www.deutscherkunstverlag.de.

Ausgewählte Siedlungen mit Häusern der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt

Hirschsprung

Die Siedlung mit dem außergewöhnlichen Namen befindet sich zwischen dem Neu-Isenburger Wald und der Ortschaft Dreieich-Sprendlingen westlich der A661. Wie dem Architekturführer zu entnehmen ist, verdankt sie ihren Namen einer Legende zufolge einem Hirsch, der vor Jägern und Hunden floh, auf einen Heuwagen sprang und ein Stück mitfuhr, um sich zu retten.

Heute umfasst die Siedlung 429 Wohnungen in mehrgeschossigen Zeilenbauten, 264 Wohnungen in acht- und zehngeschossigen Hochhäusern und 254 Einfamilienhäuser. Die großzügigen Freiflächen zwischen den Baukörpern sorgen für Naturnähe. Die Y-förmigen Hochhäuser wurden seinerzeit erstmals von der damaligen Nassauischen Heimstätte gebaut und galten auch für spätere Siedlungen als Vorbild. Auch die 22 Hektar umfassende „Neue Wohnstadt – Am Hirschsprung“ errichtete die Nassauische Heimstätte mit dem Ziel, eine moderne, grüne Wohnsiedlung zu schaffen.

Nordweststadt

Den meisten ist die Nordweststadt mit ihren 16.0000 Bewohnerinnen und Bewohnern bei rund 7.600 Wohnungen aufgrund des bekannten Nordwestzentrums ein Begriff, das bereits seit 1968 besteht. Sie befindet sich rund acht Kilometer nördlich des Frankfurter Stadtzentrums und verbindet die Stadtteile Heddernheim, Praunheim, Niederursel und die Siedlung Römerstadt miteinander. Ein 30 Kilometer langes Wegenetz, welches alle wichtigen Einrichtungen des Alltags umfasst, schützt besonders Kinder, da sie praktisch keine Straße überqueren müssen, um den Weg zur Schule oder Supermarkt zu bestreiten. Für das Grün sorgt unter anderem der acht Hektar große Martin-Luther-Park im Mittelpunkt der Siedlung. Die meisten Wohnungen haben die  Nassauische Heimstätte, die Neue Heimat und die Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen errichtet.

Wohnstadt Limes

Um neuen Wohnraum zu schaffen, rief die Nassauische Heimstätte im Jahr 1959 einen Wettbewerb ins Leben mit dem Ziel, einen Stadtteil für 10.000 Einwohner auf 77 Hektar mit 3.500 Wohneinheiten zu errichten. Zu den 31 Entwürfen zählten unter anderem Vorschläge des renommierten Architekten Ernst May, der den zweiten Preis gewann, und Hans Bernhard Reichow, Gewinner des ersten Preises. Allein bis 1968 wurden rund 3.000 Wohnungen gebaut. Heute beherbergt die Ortschaft Schwalbach rund 15.000 Einwohner, die meisten davon leben in der Wohnstadt Limes. Neben der dichten Bebauung wächst mittlerweile auch die Dichte des Baumbestands sowie der Grünanlagen, weiterhin sind Fahr- und Fußwege voneinander getrennt, um Sicherheit zu garantieren.