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Stadtentwicklung

Wie die ProjektStadt der Gemeinde Twistetal beim Wilke-Areal hilft

Im Herbst 2019 erlangte Berndorf, ein Ortsteil von Twistetal im nordhessischen Waldeck-Frankenberg, traurige Berühmtheit. Der dort ansässige Wurstwarenhersteller Wilke verursachte einen der größten Lebensmittelskandale in der Geschichte der Bundesrepublik. In Produkten des Unternehmens waren Listerien-Keime nachgewiesen worden. Dutzende Menschen wurden krank, die verunreinigten Produkte werden sogar mit drei Todesfällen in Verbindung gebracht. Die Firma Wilke musste Insolvenz anmelden, ihre leerstehenden Produktionshallen klafften daraufhin wie eine riesige Wunde mitten im Ort. Auf der Suche nach einer Lösung für das Gelände bat die Gemeinde die Kasseler Experten der ProjektStadt um Hilfe. Was sich seitdem getan hat, haben wir haben mit Ulrich Türk, Leiter der Stadtentwicklung Nord, und Projektleiter Dominikus-Hyazinth Stein besprochen. 

Wie sehr belastet der Wilke-Skandal eine kleine Gemeinde wie Berndorf?

Ulrich Türk: Der Wilke-Skandal ist wie ein Trauma für die Gemeinde, er hinterlässt eine riesige Brachfläche von rund 30.000 Quadratmetern in einem kleinen Ort mit nur gut 1.600 Einwohnern, von denen viele bei Wilke beschäftigt waren. Diese Wunde im Ortskern muss geheilt werden. Aber man kann an dem Fall auch sehen, dass in jeder Katastrophe eine Chance steckt – wenn man rechtzeitig handelt. Die Gemeinde hat uns frühzeitig kontaktiert und um Hilfe gebeten, dieser Bitte sind wir selbstverständlich nachgekommen und beraten sie seitdem in dem Prozess. Nachdem die Kaufverhandlungen zu dem Areal mit einem lokalen Unternehmer gescheitert waren, entschloss sich die Gemeinde Ende 2020, das Grundstück selbst zu erwerben. Diese schnelle und klare Entscheidung eröffnet Berndorf eine weitreichende kommunale Handlungsfähigkeit und Gestaltungsoptionen für die Zukunft des Areals. Direkt im Anschluss hat uns die Gemeinde beauftragt, eine Machbarkeitsstudie zu erstellen, um Kosten und Nutzen von sowie den Bedarf an Wohnraum zu analysieren.  

Was hat die Machbarkeitsstudie ergeben?

Dominikus-Hyazinth Stein: Erstmal hat sie eine große Resonanz hervorgerufen. Wir haben die Ergebnisse am 14. Juni 2021 auf einer Bürgerveranstaltung im Rahmen einer öffentlichen Sitzung des Gemeindeparlaments in der Berndorfer Sporthalle vorgestellt. Etwa 100 Bürgerinnen und Bürger kamen, das Medienecho war groß. Da auch in Nordhessen die Nachfrage nach Wohnungen, etwa im nahegelegenen Korbach, steigt und bezahlbarer Wohnraum knapp ist, sehen wir Potential für Wohnungen auf dem Gelände. Wir sprechen uns in der Machbarkeitsstudie für einen Mix aus Gewerbeimmobilien, Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie barrierefreien Wohnungen für ältere Menschen aus. Für die Infrastruktur sind zudem der Bau eines zentralen Parkhauses und eines Blockheizkraftwerks zur klimaschonenden Energieversorgung notwendig. Wir gehen davon aus, dass die Entwicklung des Areals für Investoren durchaus wirtschaftlich sein kann. Die Reaktionen auf die Machbarkeitsstudie aus Gemeinde und Politik waren fast durchweg positiv, die Mehrheit bekundete den Willen zur Umsetzung.  

Mit welchen Kosten rechnen Sie für die Entwicklung des Areals?

Ulrich Türk: Vor dem Neubau von Wohnungen steht zunächst der Rückbau. Wir gehen davon aus, dass der Abriss der leerstehenden Gebäude rund 3,3 Millionen Euro kosten wird. Für die Neuerschließung rechnen wir mit Kosten in Höhe von rund 740.000 Euro. Das ist deshalb schon etwas günstiger als bei der Erschließung eines komplett neuen Quartiers, da Teile der Infrastruktur wie die Kanalleitungen der Produktionsstätten schon vorhanden sind. Investoren, die den Bau von Wohnungen auf dem Areal umsetzen wollen, müssten rund 60 Millionen Euro einsetzen. Langfristig gerechnet dürfte sich dieses Geschäft durch den Verkauf von Eigentumswohnungen und die Vermietung von Wohnungen, Büros und Gewerbeflächen lohnen. Wir gehen von einem zu erwartenden Mietpreis von knapp zehn Euro pro Quadratmeter Neubauwohnung aus. 

Kann das eine kleine Gemeinde überhaupt stemmen?

Dominikus-Hyazinth Stein: Wenn die Gemeinde alle zur Verfügung stehenden Fördermittel abruft und mit dem Verkauf der Grundstücksteile Gewinn macht, kann dies aufgehen. Die Projektstadt hat für Twistetal bereits Mittel aus dem europäischen Strukturfonds (EFRE) eingeworben, auch das Land Hessen stellt Fördermittel bereit. Damit konnten wir die Kosten für den Abriss und die Baufertigmachung des Geländes deutlich senken. Auch im weiteren Prozess werden wir die Gemeinde natürlich beraten. Am Ende wird wohl ein Eigenanteil für die städtebauliche Entwicklung von rund einer Million Euro übrigbleiben. Das ist eine gute Investition in die Zukunftsfähigkeit des Ortes. Vor allem, da wir davon ausgehen, dass Twistetal mit 120 bis 150 neuen Arbeitsplätzen und 230 bis 285 neuen Einwohnern rechnen kann. 

Wie geht es jetzt weiter? 

Ulrich Türk: Die Gemeinde hat sich für den Start der Umsetzung der Machbarkeitsstudie der ProjektStadt entschieden, dieser Beschluss erfolgte einstimmig. Wir gehen in die nächste Phase, es bleibt also herausfordernd und spannend.