Online statt offline
Eine digitale Plattform ersetzt in Friedberg ein Bürgerforum zum ehemaligen Kasernengelände Ray Barracks.
Seit einigen Jahren kooperiert die ProjektStadt in Sachen digitaler Stadtentwicklung mit der wer denkt was GmbH aus Darmstadt und hat so bereits Erfahrungen mit neuen Formaten der Bürgerbeteiligung sammeln können. Ein Vorteil, den sie nun – im Gegensatz zu anderen Akteuren am Markt – erfolgreich nutzen konnte: Ende April musste das Bürgerforum zum ehemaligen Kasernengelände Ray Barracks in Friedberg aufgrund der Corona-Krise abgesagt werden. Um die Bevölkerung dennoch in die Erarbeitung des Rahmenplans einzubinden, wurde die Veranstaltung kurzfristig durch eine digitale Plattform ersetzt. Ermöglicht wurde dies durch die aktive Mitarbeit des Amtes für Stadtentwicklung, die Stadt Friedberg stellte die erforderlichen Mittel bereit. Die Plattform beinhaltet Details zum bisherigen Prozess, zur Fläche selbst, Rahmenbedingungen, Fotos sowie das Beteiligungstool zum Rahmenplanentwurf. Bis Mitte Mai konnten sich Interessierte unter www.friedberg-mitmachen.de informieren, den Entwurf einsehen, dort interaktiv Ideen direkt verorten und mit anderen Usern diskutieren.
Ziel: ein lebendiges Stadtquartier
Für das 74 Hektar große Gelände erarbeitet die Bauland- Offensive Hessen, Tochter der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt, im Auftrag der Stadt eine Machbarkeitsstudie. Das Areal verfügt über enormes Entwicklungspotenzial und soll zu einem lebendigen Quartier umgebaut werden. Neben bezahlbarem Wohnraum sind unter anderem zwei Kindertagesstätten, eine Grundschule, eine Sporthalle, ein Feuerwehrstützpunkt, der Campus der Technischen Hochschule Mittelhessen sowie Flächen für Gewerbe geplant.
Mit insgesamt 116 Ideen, 109 Kommentaren und 186 Stimmen erzielte die Online-Beteiligung ein beachtliches Resultat. Bereits nach kurzer Zeit gingen erste Vorschläge ein – darunter: Kino, Eltern-Kind-Café und Gründerzentrum. Die Ergebnisse werden nun ausgewertet, aufbereitet und fließen in den Entwurf mit ein. „Ich freue mich, dass so viele Friedberger diesen Planungsprozess zu einem lebendigen Dialog haben werden lassen“, so das Fazit von Bürgermeister Dirk Antkowiak. „Auf diese Weise können wir an unserem Ziel festhalten, noch in diesem Jahr einen politischen Beschluss zum Rahmenplan zu fassen.“
Bürgerbeteiligung auf Standby?
GastkommentarDie Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie haben weite Teile des öffentlichen Lebens in Deutschland lahmgelegt. Das hat Folgen für die Bürgerbeteiligung. Führt dies zum Stillstand in vielen Beteiligungsprozessen? Gelingt ein Ausweichen in den digitalen Raum? Das Berlin Institut für Partizipation hat kürzlich bundesweit über 1.700 Akteure der Bürgerbeteiligung befragt. Die Ergebnisse dieser Studie sind eindeutig: An vielen Orten musste die Beteiligung zum Teil oder sogar vollständig eingestellt werden.
Über drei Viertel der Befragten bestätigten, dass Veranstaltungen abgesagt werden mussten. Besonders bedauerlich ist, dass es in den meisten Kommunen nicht gelingt, diese kurzfristig durch Online-Beteiligung zu ersetzen. Nur rund ein Drittel praktiziert bislang überhaupt digitale Beteiligungsverfahren. In vielen Kommunen gibt es kaum die dafür nötigen technischen, finanziellen oder personellen Ressourcen.
In der aktuellen Situation ist das fatal. Denn der teilweise Totalausfall der Beteiligung führt nun dazu, dass viele Vorhaben pausieren oder ohne Beteiligung vorangetrieben werden. Der Dialog zwischen Politik, Verwaltung sowie Bürgerinnen und Bürgern reißt ab – und das gerade in einer Krise, in der Kommunikation als vertrauensbildende Maßnahme so nötig wäre. Jetzt fällt diese weit unter das Vorkrisenniveau zurück. Das fördert Frustration, Politikverachtung und Verschwörungstheorien.
Aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie lernen heißt, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zentral zu fördern und die vielfältigen Erfahrungen zu bündeln.
Nun zeigt sich in aller Deutlichkeit, dass Beteiligung bis lang ein weitgehend unkoordiniertes Feld in Deutschland ist. Es gibt keine nationalen Standards, keine Prozesse, keine Strukturen. Große Kommunen und viele digital erfahrene Vorhabenträger können weiter beteiligen, andere müssen ihre Beteiligung in den Standby-Modus versetzen. Daraus sollten wir lernen. Das Berlin Institut für Partizipation schlägt deshalb ein Nationales Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung vor. Aus den Erfahrungen der Corona Pandemie lernen heißt, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zentral zu fördern und die vielfältigen Erfahrungen zu bündeln. Gerade auch die sozialen Verwerfungen in der Pandemie zeigen: Wir brauchen in Deutschland mehr, umfassendere und bessere Beteiligungsstrukturen.
Auswirkungen der Pandemie
Mussten aufgrund der Corona-Pandemie Beteiligungsveranstaltungen entfallen?
Digitale Format
Verfügt Ihre Kommune über digitale Beteiligungsformate?
Ausrichtung
Werden Sie zukünftig verstärkt digitale Beteiligungstools im Portfolio anbieten?