Das Gesetz der Serie
Herr Bunge, was bedeutet modulares Bauen? Kommt es womöglich zur Rückkehr des Plattenbaus?
Modulares Bauen – wie wir es praktizieren – bedeutet, möglichst viele Elemente gleichmäßig und wiederholend einzusetzen. Denn je öfter ich ein gleiches Bauteil im Werk fertigen lasse, umso einfacher werden Herstellung und Einbau. Das beginnt bei den Fenstern, die man möglichst oft und gleichmäßig plant, und es reicht bis zu kompletten Fertignasszellen, die zum Beispiel aktuell im Projekt Fasanenhof in Kassel eingesetzt werden. Die einzelne Zelle kommt mit eingebauter Tür und endgereinigt auf der Baustelle an. Nach der Montage müsste man eigentlich nur noch Handtücher und Toilettenpapier bereitstellen und das Badezimmer könnte sofort benutzt werden. Plattenbau funktioniert bei uns eigentlich schon vom Ansatz her nicht, weil jedes Baugrundstück ein anderes Baufeld hat. Ein Haus, das man in Straße A baut, kann man in Straße B nicht genauso wiederholen, weil weder der Bebauungsplan noch das Grundstück den grundsätzlichen Anforderungen entsprechen. Nehmen wir als klassisches Beispiel Berlin-Marzahn, ein Plattenbauviertel auf der „grünen Wiese“. Dort wurde der Bebauungsplan einfach auf die Möglichkeiten der Fertigung zugeschnitten. Bei uns ist es dagegen genau andersherum. Wir passen die Fertigung dem Grundstück, den gesetzlichen Vorgaben und dem Bebauungsplan an. Eine Ausnahme hierzu kann die Konzeption von Projekten für Standardsituationen wie den Satelliten sein, da hier in der Regel die notwendige Flexibilität im Baurecht und auf dem Grundstück vorhanden ist.
Was versteht man heute unter modularem Bauen? Gibt es unterschiedliche Konstruktionen und Techniken?
Modulares Bauen ist heute nicht mit dem Plattenbau im klassischen Sinn vergleichbar, sondern steht eher für die effiziente Nutzung von Wiederholungsfaktoren. Typische Module sind Fenster, Fassadenfronten oder Wohnungstrennwände, Letztere meist als Halbfertigteile. Die Trennwände werden erst vor Ort ausbetoniert. Mit massiven Betonfertigteilen kann man eine Wohnungstrennwand bei gleichen Schallschutzwerten dünner machen als beim klassischen Mauern Stein auf Stein, weil der Beton einfach eine höhere Masse hat. Dadurch erreicht man die Schallschutzvorgaben mit einer geringeren Bauteilstärke. Mein Paradebeispiel: Eine Kalksandsteinwand muss man verputzen. Dann kommt sie auf eine Wandstärke von 27 Zentimetern. Eine Betonwand aus Fertigteilen hat dagegen nur eine Stärke von 24 Zentimetern. Das hört sich erst mal nicht nach einem großen Unterschied an. Aber wenn man einen Wohnblock mit langen Wänden hat, dann sind aus drei Zentimetern Differenz schnell mehrere Quadratmeter zusätzliche Wohnfläche geworden.
Die Verwendung von Modulen führt zu einer Beschleunigung des Ablaufs auf der Baustelle. Das ist wie bei einem Fertighaus.
Wo liegen die weiteren Vorteile des Konzeptes? Welche Veränderungen ergeben sich auf der Baustelle?
Die Verwendung von Modulen führt zu einer Beschleunigung des Ablaufs auf der Baustelle. Das ist wie bei einem Fertighaus. Modulares Bauen bedeutet zudem, dass langwierige Trocknungszeiten entfallen. Ein Beispiel: Die Wartezeit, bis ein Estrich trocken oder weiterzubearbeiten ist, beträgt vier bis sechs Wochen. Bei Verwendung von Modulen entfallen die meisten Wartezeiten. Trockenzeit wird auch eingespart, wenn die Innenwände einer Wohnung nicht verputzt werden müssen, weil sie schon fertig angeliefert wurden. Auch das führt dazu, dass wir dringend benötigte Wohnungen schneller bauen können.
Leidet die architektonische Vielfalt durch die Anwendung modularer Bauweisen?
Individualität und Modulbau schließen sich weitgehend aus. Aber man muss beim Modulbau auch die Zielsetzung beachten: Ich fertige Elemente in großen Mengen vor und rufe die ab, um Zeit und Kosten zu sparen. Das ist im Prinzip wie im Automobilbau. Die Ablagen im Auto oder die Armaturentafeln bekommt die Automobilindustrie fertig zugeliefert. Da ist ein Kunststoffmodul genau wie das andere. Aber dem Autofahrer gefällt sein Wagen trotzdem. Entscheidend ist vor allem, er kann sich ein solches Fahrzeug überhaupt nur durch die konsequente Anwendung der Serienfertigung leisten. Auch im Wohnungsbau sollte das eigentlich funktionieren.
Ist das modulare Bauen bei der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt schon im Einsatz?
Wir haben bereits erste Erfahrungen mit dem Systembau. Das ist auch eine Form des modularen Bauens. Hier haben wir die erste Stufe durchgeprüft und kalkuliert. Es hat sich gezeigt, wenn wir unsere energetischen Anforderungen und unsere Grundrisskonzepte beibehalten, dann funktioniert der Systembau bei uns nicht. Er ist zu teuer. Aber was an anderer Stelle definitiv umgesetzt wird: Beim Projekt Fasanenhof in Kassel werden im Sinne des modularen Bauens 70 gleiche Bäder eingebaut. Außerdem werden die Wohnungstrennwände aus Beton vorgefertigt, einfach um Fläche zu gewinnen und gleichzeitig auch vom Zeitgewinn durch entfallende Trockenzeiten zu profitieren. Mit den Satelliten gehen wir projektbezogen einen weiteren Schritt in Richtung modulares Bauen.